In diesem Beitrag stelle ich Dir die »Praxis der Liebenden Güte« auch »Mettâ-Meditation« genannt vor. »Liebende Güte« ist eine Übersetzung des Pâli-Wortes Mettâ. Es bedeutet auch »Freundlichkeit«, »Liebe«, »Wohlwollen« und »guter Wille« oder »gute Absicht«. Diese Meditation, die ihren Ursprung im Buddhismus hat, ist ein universeller Weg, um zu mehr (Selbst)-Mitgefühl und Akzeptanz zu gelangen.
Der Psychologe Christopher Germer drückt dies in seinem wundervollen Buch »Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl – Wie man sich von destruktiven Gedanken und Gefühlen befreit«, so aus:
Liebende Güte ist Ausdruck des Wunsches, ein anderer Mensch möge glücklich sein. Mitgefühl ist der Wunsch, diese Person möge frei von Leiden sein. Liebende Güte können wir immer und überall erfahren, aber Mitgefühl setzt Leiden voraus. Daher ist Mitgefühl ein Teilaspekt der Liebenden Güte.
Die fünf Ebenen des Selbstmitgefühls
Die »Praxis der Liebenden Güte« umfasst alle fünf Ebenen des Selbstmitgefühls in einer Meditation:
- körperlichen Ebene:
Hier geht es darum, liebevoll und fürsorglich mit dem Körper umzugehen, alles was Sie ihrem Körper Gutes tun können. - mentalen Ebene:
Selbstmitgefühl auf der mentalen Ebene bedeutet, inwieweit Sie Ihre Gedanken zulassen können, kommen und gehen lassen können, ohne sich darin zu verstricken. - emotionalen Ebene:
Bedeutet Freundschaft mit schmerzhaften Gefühlen schließen und nicht länger dagegen anzukämpfen. - spirituellen Ebene:
Hier geht es darum, die eigenen Werte im Blick zu haben und danach zu handeln. - Beziehungsebene:
Beinhaltet die Verbundenheit mit anderen Menschen und wie wir mit Anderen in Beziehung treten.
Selbstmitgefühl Schritt für Schritt
Im Gegensatz zur Erforschung der Achtsamkeit befindet sich die Forschung über das Selbstmitgefühl noch am Anfang. Allerdings erlangt es zunehmend mehr an Bedeutung in der Psychologie und fließt immer stärker in neuere Therapiekonzepte ein.
Eine Vorreiterrolle nimmt dabei die amerikanische Wissenschaftlerin und Psychologin Dr. Kristin Neff ein. Sie ist Associate Professor für menschliche Entwicklung und Kultur an der Universität von Austin Texas. Ihre Forschungen über Selbstmitgefühl sind von großer Bedeutung für die neuere Psychologie. Zusammen mit Christopher Germer hat sie das 8-wöchige »Mindful Self-Compassion Training (MSC) « (deutsch: »achtsames Selbstmitgefühl-Training«) für den Alltag entwickelt.
Das Buch (inklusive 4 CDs) »Selbstmitgefühl Schritt für Schritt« enthält die Übungen und Meditationen des Trainings, praktisch angeleitet durch die erfahrenen Meditationstrainer Christine Brähler und Lienhard Valentin. Die Übungen lassen sich gut in den Alltag integrieren und sind leicht nachvollziehbar. Die Texte erklären die Übungen und bieten eine kompakte Zusammenfassung von Neff’s Grundlagenwerk »Selbstmitgefühl – Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden« über ihre wissenschaftlichen Arbeiten zum Selbstmitgefühl.
Dr. Neff hat außerdem eine Selbstmitgefühls-Skala und einen Fragebogen entwickelt, mit dem Du ermitteln kannst, wie mitfühlend Du mit Dir selbst bist. Als ich diesen Test zum ersten Mal ausgefüllt habe, war das Ergebnis niederschmetternd. Nach einigen Wochen Selbstmitgefühlspraxis konnte ich aber deutliche Fortschritte erzielen. Wenn Du den Test gerne machen möchtest, findest Du diesen auf folgender Website in deutscher Sprache:
http://www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/TEST/SAT/Test.shtml
Bitte identifiziere Dich nicht all zu sehr mit diesem Test, besonders das erste Ergebnis kann schockierend und niederschmetternd sein. Mache Dir bewusst, das bin nicht ich!
Der Test ist nur eine Orientierungshilfe und dient Dir als Motivation, mit der Praxis fortzufahren. Ich schlage vor, dass Du den Test frühestens wieder in 8 Wochen wiederholst, um zu sehen, ob Du Fortschritte gemacht hast.In dieser Praxis sprechen wir bestimmte »Mettâ-Sätze« innerlich zu uns selbst, um uns daran zu erinnern, dass wir ein Mensch sind, der Fehler macht und der frei von Leid sein möchte. In dem wir nach und nach den Kreis unserer »Liebenden Güte« erweitern und schließlich alle Lebewesen einbeziehen, erkennen wir, dass alle Lebewesen frei von Leid sein wollen.
Wir erkennen, dass unser Herz groß genug ist, um das Leid aller Lebewesen in unser Herz aufzunehmen, aufzulösen und allen Lebewesen Mitgefühl und »liebende Güte« zu schenken.
Mettâ im Buddhismus
Die »Mettâ-Meditation« hat ihren Ursprung im Buddhismus. Die heutige Form der Mettâ-Praxis basiert hauptsächlich auf Buddhaghosas ausführlicher Erläuterung einer Lehrrede, die der Buddha vor einer Gruppe von Mönchen hielt, die sich fürchteten, im Wald zu leben. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Buddha ein Mensch und kein Gott war. Als er einmal gefragt wurde, ob er (ein) Gott sei, antwortete er einfach, er sei erwacht.
Buddha bedeutet »der Erwachte«.
Der Buddha wurde um das Jahr 563 v. Chr. als Sohn eines Fürsten geboren, aber er verließ sein luxuriöses Zuhause im Alter von 29 Jahren, um herauszufinden, wie man das Leiden überwinden könne – insbesondere das mit Krankheit, Alter und Tod verbundene Leid. Sechs Jahre später »erwachte« er beim Meditieren unter einem Bodhi-Baum: Er sah plötzlich, wie wir das Leiden in unserem Geist erzeugen und wie es aufgelöst werden kann. Von da an lehrte er noch 45 Jahre lang bis zu seinem Tode.6
Anleitung Meditation der liebenden Güte – Mettâ-Meditation
Hinweis: Bitte lies zunächst die Anleitung vollständig zu Ende, bevor Du mit der Praxis beginnst.
Zunächst ist es wichtig, dass Du Dich in eine mitfühlende und liebevolle innere Haltung begibst. Damit Dir das besser gelingt, such Dir bitte ein Lebewesen aus, bei dem Dir sofort das Herz aufgeht. Es kann ein guter Freund sein, Jesus, Buddha, ein Mentor oder ein geliebtes Haustier. Auch eine Pflanze ist ein Lebewesen, Du kannst Dir auch vorstellen, wie sich z.B. die Blüte einer Lotusblume langsam öffnet oder jede andere Blüte. Dies ist Dein persönlicher Herzensöffner. Manche fühlen sich auch spirituell mit dem Universum verbunden, dann sprich die Sätze zum Universum.
Wichtig: Es sollte kein Lebewesen sein, das konfliktbehaftet ist.
Beispiel: Wenn Du Mettâ praktizierst, um mitfühlender mit einer nahestehenden liebenden Person umzugehen, mit der es Konflikte gibt, dann wähle nicht diese Person als Deinen Herzensöffner. Das gilt auch für Lebewesen bzw. Personen, die verstorben sind und um die Du noch trauerst.
Mein Herzensöffner ist unser schon lange verstorbener Hund. Ich stelle mir vor, wie er mich ansieht, sich an mich kuschelt oder wie er friedlich schlummernd in seinem Körbchen liegt.
Zu Beginn der Meditation empfehle ich eine kurze Zentrierung. Du kannst aber auch gerne Deine eigene Einführung benutzen, wie bei anderen Meditationen. Wichtig ist, dass Du aufrecht sitzt und dabei wach und entspannt bist.
Um Körper und Geist zu zentrieren, benutze ich gerne die kurze Atemmeditation von Thich Nhat Hanh:
Suche Dir eine Stelle, an der Du den Atem beobachten kannst, also z.B. der Brustkorb, der sich hebt und senkt oder die Nase, durch die die Luft ein- und wieder ausströmt. Schließ Deine Augen (Du kannst sie aber auch gerne offen lassen und einen Punkt vor Dir fixieren). Dann atmest Du 3 Mal tief ein und wieder aus und sagst innerlich folgende Sätze zu Dir:
- 1. Einatmen:
Ich atme ein und weiß, dass ich einatme
oder kurzEinatmen
. - 1. Ausatmen:
Ich atme aus und weiß, dass ich ausatme
oder kurzAusatmen
. - 2. Einatmen:
Ich beruhige meinen Körper und Geist
oder kurzBeruhigen
. - 2. Ausatmen:
Ich lasse los und lächle
(Versuche dabei bitte wirklich zu lächeln. Es hat einen sehr positiven Effekt. Es entspannen sich Hunderte von Muskeln in unserem Körper, wenn wir unser Gesicht zum Lächeln bringen. Thich Nhat Hanh nennt das »Mund-Yoga«. Neuere Untersuchungen haben tatsächlich gezeigt, dass sich die Wirkungen in unserem Nervensystem, die mit echter Freude verbunden sind, auch dann einstellen, wenn wir unsere Gesichtsmuskeln den Ausdruck der Freude annehmen lassen) oder kurzLoslassen und Lächeln
. - 3. Einatmen:
Dieser Moment
. - 3. Ausatmen:
Mitfühlender Moment
.
Leg nun beide Hände, wie auf dem Bild mit der goldenen Buddhastatue, sanft übereinander auf Dein Herzzentrum und stelle Dir Deinen Herzensöffner so detailliert, wie möglich vor. Stell Dir vor, wie sich mit jedem Atemzug Dein Herz öffnet und der Raum darin größer wird.
Sprich nun innerlich die folgenden Sätze so liebevoll und mitfühlend wie möglich zu Dir selbst.
Möge ich sicher und geborgen sein.
Möge ich in Frieden sein.
Möge ich gesund sein.
Möge ich achtsam und mitfühlend sein.
Möge ich mit Leichtigkeit und Gelassenheit leben.
Du kannst auch eigene Sätze formulieren, sie sollten nur nicht zu konkret sein und keine Negation enthalten. Was bedeutet das?
Beispiel: Statt möge ich KEINE ANGST mehr haben
, sage lieber möge ich mutig sein
. Der Grund ist, dass unser Gehirn auf vermeintlich negativ behaftete Wörter sofort reagiert, besonders dann, wenn sie im Gehirn bereits aufgrund Deiner Erfahrungen gut vernetzt sind. Das Gehirn kann auf gut und breit vernetzte Wörter viel schneller zugreifen, als auf wenig vernetzte Wörter. Wenn Du also sagst, Du möchtest KEINE ANGST mehr haben und das Wort ANGST aufgrund Deiner Erfahrungen und Erlebnisse bereits gut vernetzt ist, dann kann es sein, das Du erst Recht Angst bekommst.
Unser Gehirn kennt auch keine Negationen. Negationen sind Sätze die Verneinungen enthalten. Folgende Wörter sind typische Negationen:
KEINE, NICHT, OHNE
Dann gibt es noch versteckte Negationen, das sind Wörter wie sorgenfrei
, schuldenfrei
, angstfrei
usw.. Hier sind nicht nur negative Wörter wie Sorgen
, Schulden
oder Angst
enthalten, das Wort frei
ist in diesen Fällen gleichbedeutend mit keine
bzw. ohne
.
Hier einige Beispiele, die ich gerne je nach Situation hinzufüge:
- Möge ich frei sein. (Gibt mir ein Gefühl von Freiheit)
- Möge ich mutig und beharrlich sein.
- Möge ich mich und mein Leben so annehmen, wie es ist.
- Möge ich selbstbewusst und stark sein.
Wichtig: Diese Sätze sind keine Befehle, sie bedeuten nicht, dass es so sein wird. Es bedeutet, dass, wann immer es möglich ist, soll es so sein, daher möge
.
Wenn Du das eine Weile geübt hast, beginnst Du langsam den Kreis Deiner liebenden Güte auf andere Personen zu erweitern.
- Jemand, der mitfühlend Dir gegenüber ist.
- Jemand, der genauso leidet, wie Du.
- Eine neutrale Person (Postbote, Kassiererin an der Supermarktkasse)
- Eine schwierige Person: Hier solltest Du langsam vorgehen. Wähle zunächst jemanden, der Dich geärgert hat und zu dem Du keine emotionale Bindung hast oder nur eine schwache, z.B. ein Arbeitskollege, jemand der im Alltag unfreundlich zu Dir war. Dann arbeitest Du Dich langsam zur nächstschwierigeren Person vor, bis hin zu einer Person, die Dir großes Leid angetan hat. Das muss aber nicht sein. Nur wenn Du den Wunsch hast, mitfühlender mit dieser Person zu sein oder Dir wünschst, sie möge Dir vergeben, was sie Dir angetan hat, das aber nicht tut, kannst Du das probieren.
- Zum Schluss schließt Du alle Lebewesen auf unserem Planeten mit in den Kreis Deiner liebenden Güte ein (ich stelle mir dabei die Erde aus dem Weltall betrachtet vor), denn ALLE Lebewesen wollen frei von Leid sein.
Stell Dir die betreffende Person dabei vor und sage dann die Mettâ-Sätze:
Mögen Du und ich sicher und geborgen sein
Bei der Person, die Dir Gutes tut, der Person, die leidet und der schwierigen Person kannst Du auch gerne den Namen nennen.
Beispiel: Mögen Du liebe(r) […] und ich sicher und geborgen sein.
Bei allen Lebewesen dementsprechend:
Mögen wir alle sicher und geborgen sein.
Lass Dir Zeit, auch wenn Du vielleicht gleich mit einer schwierigen Person starten möchtest. Erweitere Deinen Kreis der liebenden Güte behutsam. Erst wenn Du das Gefühl hast, Du kannst mit einer schwierigen Person wirklich Mitgefühl haben, solltest Du zur nächstschwierigeren Person weiter gehen.
Achtung: Die Meditation der liebenden Güte ist eine Meditation, die uns sehr tief berühren kann. Nicht jeder ist dazu in der Lage sich dasselbe Mitgefühl zu geben, wie jemand anderem, nicht jeder ist dazu in der Lage für eine schwierige Person Mitgefühl zu empfinden. Das gilt besonders für Menschen, die ein Trauma erlebt haben. Hier sollte diese Praxis nur durch Anleitung eines erfahrenen Psychologen oder Meditationslehrer erfolgen, da es bei traumatisierten Menschen während der Meditation zu einem sogenannten Backflash kommen kann, d.h. die betreffende Person durchlebt das Trauma in der Meditation erneut. Bitte lies dazu auch meinen medizinischen Haftungsausschluss.
Aloha*
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