Der erste Wert des A-B-S-Konzeptes ist die Achtsamkeit. Im letzten Beitrag haben wir die Achtsamkeit aus der buddhistischen Sichtweise betrachtet. In diesem Beitrag betrachten wir die Achtsamkeit aus wissenschaftlicher Sichtweise. Dazu werde ich verschiedene neuere Verhaltenstherapien vorstellen, in denen die Praxis der Achtsamkeit eine wichtige Komponente ist sowie Studien, die die Wirksamkeit der Achtsamkeitsmeditation belegen.
Es ist erfreulich, dass die Achtsamkeit auch in der westlichen Welt angekommen ist. Insbesondere in der Gehirnforschung und den Neurowissenschaften spielt sie aufgrund zahlreicher Studien, deren Ergebnisse die positive Auswirkung der Achtsamkeitsmeditation auf menschliche Psyche und Körper nachweisen konnten, eine immer bedeutendere Rolle. Gerade in den neueren Verhaltenstherapien ist sie ein fester Bestandteil, um zu mehr psychologischer Flexibilität zu gelangen. Nachfolgend stelle ich drei dieser Verhaltenstherapien vor sowie ein Trainingsprogramm.
Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT)
ACT wurde von dem Psychologen Steven Hayes und seinen Kollegen Kelly Wilson und Kirk Strosahl entwickelt. Die Wirkung von ACT wurde durch wissenschaftliche Studien belegt.
In ACT ist es nicht wichtig, ob ein Gedanke gut oder schlecht, wahr oder unwahr ist, sondern nur ob ein Gedanke hilfreich ist, ein zufriedenes und erfülltes Leben zu schaffen. Mit diversen Entschärfungstechniken lernt man Gedanken, die nicht hilfreich sind zu entschärfen, indem man erkennt, was sie sind, Worte und Bilder in unserem Kopf. Im Gegensatz zu anderen Therapien werden Gedanken nicht mehr analysiert, mit der Wahrheit abgeglichen oder versucht diese durch andere positive Gedanken zu ersetzen.1
Indem man sich mit seinen Werten verbindet und durch die Praxis der Achtsamkeit bewusster im »Hier und Jetzt« lebt, ist es möglich schmerzvolle Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen mitfühlender, achtsamer und wohlwollender anzunehmen, anstatt zu versuchen sie zu kontrollieren oder zu vermeiden. Denn das führt meist zu noch mehr Leiden. Diese Geisteshaltung ermöglicht es, zu mehr psychologischer Flexibilität zu gelangen, um den Widrigkeiten des Lebens zu begegnen.2
Weitere Information über Fachliteratur, Selbsthilfe, Arbeitsmaterialien, Links und dem Konzept von ACT sowie ein Verzeichnis von ACT-Therapeuten, Coaches und Kliniken, die mit ACT arbeiten findest Du auf der Website der internationalen ACBS (»Association for Contextual Behavioral Science«) und der »Deutschsprachigen Gesellschaft für Kontextuelle Verhaltenswissenschaften (DGKV)«: zur Website der internationalen ACBS (Fachliteratur mit Arbeitsmaterialien zum Download) zur Website der DGKV (Verzeichnis von ACT-Therapeuten, Coaches und Kliniken)
Literaturempfehlungen
- Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei – ein Umdenkbuch von Russ Harris
- Raus aus der Glücksfalle: Ein Umdenk-Buch in Bildern von Russ Harris
- Wer vor dem Schmerz flieht, wird von ihm eingeholt von Russ Harris
- Das Leben annehmen: So hilft die Akzeptanz– und Commitment–Therapie (ACT) von Matthias Wengenroth
- Mit Ängsten und Sorgen erfolgreich umgehen: Ein Ratgeber für den achtsamen Weg in ein erfülltes Leben mit Hilfe von ACT von John P. Forsyth und Georg H. Eifert
Links:
Online Kurs: I’m learning ACT with Russ Harris Russ Harris Matthias Wengenroth

Mindfulness Based Cognitive Therapy (MBCT)
Die »Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie« (engl. »Mindfulness Based Cognitive Therapy«, MBCT) wurde von den Psychotherapieforschern und kognitiven Verhaltenstherapeuten Zindel V. Segal, J. Mark G. Williams und John D. Teasdale zur Rückfallprävention bei Depressionen entwickelt. Sie kombiniert Elemente der »Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion« (engl. »Mindfulness Based Stress Reduction«,MBSR nach Jon Kabat-Zinn mit Interventionen der Kognitiven Verhaltenstherapie bei Depressionen.
Quelle: wikipedia.de
Der folgende Auszug ist aus dem Buch »Meditation im Alltag« von Mark Williams und Danny Penman und betrachtet die Achtsamkeitspraxis aus wissenschaftlicher Sicht:
Meditation und Depression:
Studien haben bewiesen, dass das von Mark Williams und Kollegen entwickelte und in diesem Buch vorgestellte 8-Wochen-Programm in »achtsamkeitsbasierter kognitiver Therapie« MBCT das Risiko, an einer Depression zu erkranken, signifikant reduziert. Bei Patienten, die bereits drei oder mehr Depressionsschübe erlebt haben, geht die Gefahr eines Rückfalls sogar um 40 bis 50 Prozent zurück.1 Damit wurde erstmals gezeigt, dass eine in symptomfreien Zeiten erfolgende psychologische Behandlung gegen Depressionen einem Rückfall tatsächlich vorbeugen kann. ln ihren Empfehlungen zur Behandlung von Depressionen empfiehlt das britische »National Institute for Health and Clinical Excellence« (NICE) mittlerweile MBCT für Patienten, die bereits drei oder mehr Depressionsschübe erlitten haben. Auch die Arbeiten von Maura Kenny in Adelaide und Stuart Eisendrath in San Francisco deuten darauf hin, dass MBCT eine effiziente Strategie für Patienten sein kann, die auf andere Behandlungen wie Antidepressiva oder kognitive Therapieformen nicht ansprechen.2
Meditation contra Antidepressiva:
Wir werden oft gefragt, ob die Schulung der Achtsamkeit parallel zur Einnahme von Antidepressiva erfolgen oder diese ersetzen kann. Die Antwort auf beide Fragen lautet Ja. Studien in Professor Kees van Heeringens Klinik im belgischen Gent zeigen, dass Patienten noch während der medikamentösen Behandlung mit der Schulung der Achtsamkeit beginnen können. Es wurde festgestellt, dass Achtsamkeit die Rückfallhäufigkeit von 68 auf 30 Prozent sinken ließ, obwohl die Probanden mehrheitlich (etwa gleich viele in der MBCT- und der Kontrollgruppe) Antidepressiva einnahmen.3 Im Hinblick auf die Frage, ob Meditation eine Alternative zur medikamentösen Behandlung sein kann, lieferten Willem Kuyken und Kollegen in Exeter sowie Zindel Segal und Kollegen in Toronto den Beweis, dass Patienten, die die Antidepressiva abgesetzt und stattdessen einen 8-Wochen-Kurs in MBCT absolviert hatten, sich genauso gut oder besser entwickelten als diejenigen, die die Medikamente weiternahmen. Quelle: »Meditation im Alltag« von Mark Williams und Danny Penman
Fussnoten: 1. Ma, J., und Teasdale, J.D. (2004), »Mindfulness-based cognitive therapy for depression: Replication and exploration of differential relapse prevention effects«, Journal of Consulting and Clinical Psychology, 72, S. 31–40. 2. Kenny, M.A., und Williams, J.M.G. (2007), »Treatment-resistant depressed patients show a good response to Mindfulness-Based Cognitive Therapy« Behaviour Research and Therapy, 45, S. 617–665; Eisendrath, S.J. Delucchi, K., Bitner, R., Fenimore, P., Smit, M., und McLane, M. (2008), »Mindfulness-Based Cognitive Therapy for Treatment-Resistant Depression: A Pilot Study«, Psychotherapy and Psychosomatics, 77, S. 319–320; Kingston, T., et al. (2007), »Mindfulness-based cognitive therapy for residual depressive symptoms«, Psychology and Psychotherapy, 80, S. 193–203. 3. Godfrin, K., und van Heeringen, C. (2010), »The effects of mindfulness-based cognitive therapy on recurrence of depressive episodes, mental health and quality of life: a randomized controlled study«, Behaviour Research and Therapy, DOI: 10.1016/j.brat.2010.04.006.
Literaturempfehlungen
- Meditation im Alltag von Mark Williams und Danny Penman
- Das Achtsamkeitstraining – 20 Minuten täglich, die Ihr Leben verändern von Mark Williams und Danny Penman
- Der achtsame Weg durch die Depression von Mark Williams, John Teasdale, Zindel V. Segal, Jon Kabat-Zinn
- Das MBCT-Arbeitsbuch: Ein 8-Wochen-Programm zur Selbstbefreiung von Depressionen und emotionalem Stress – Inklusive MP3-CD mit Achtsamkeitsübungen von Mark Williams, John Teasdale, Zindel V. Segal
Links:
Oxford Mindfulness Centre MBSR-MBCT Verband Deutschland
Compassion Focused Therapy (CFT)
Die mitgefühls-fokussierte Therapie ist eine von Paul Gilbert begründete Psychotherapie, welche auf der Basis der evolutionären Psychologie in die kognitive Verhaltenstherapie Achtsamkeitstechniken aus dem Buddhismus, mit dem Schwerpunkt (Selbst)mitgefühl integriert. Zur Website der »Compassionate Mind Foundation«
Literaturempfehlungen
Bisher gibt es keine deutschsprachige Fachliteratur zu dieser Therapie, die ich empfehlen könnte.
Mindful Self-Compassion
»Mindful Self-Compassion« (deutsch: »achtsames Selbstmitgefühl«) ist ein von Kristin Neff und Christopher Germer entwickeltes Training zur Entwicklung von mehr Selbstmitgefühl im täglichen Leben. Kristin Neff ist die erste Wissenschaftlerin, die zum Thema Selbstmitgefühl geforscht hat. Ein zentrales Thema der wissenschaftlichen Arbeiten von Neff ist die »Selbstwertproblematik«. Meiner Ansicht nach eines der wichtigsten Probleme unserer modernen Gesellschaft.
- Selbstmitgefühl – Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden von Kristin Neff
- Selbstmitgefühl Schritt für Schritt von Kristin Neff
- Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl von Christopher Germer
Links:
»Center for Mindful Self-Compassion« von Kristin Neff und Christopher Germer
Stehen und schauen
Zum Abschluss ein sehr schönes Gedicht des Schriftstellers William Henry Davies (1871–1940), der die Achtsamkeit in poetische Worte fasst:
Muße
von William Henry Davies
Was ist dieses Leben, wenn wir nur an Sorgen kau’n und keine Zeit bleibt, um zu stehen und zu schau’n. Keine Zeit, um uns einmal auszuruh’n und so lange zu schau’n, wie Schafe es tun. Keine Zeit, um beim Gang durch den Wald zu merken, wo die Eichhörnchen ihre Nüsse im Gras verbergen. Keine Zeit, um im hellen Tageslicht zu seh’n, wie Bäche glitzernd durch die Wiesen geh’n. Keine Zeit, um uns umzudreh’n nach einer Schönheit Blick und ihre Füße wirbeln zu seh’n in des Tanzes Glück. Keine Zeit, um zu warten, bis ihr Mund sich gesellt zu dem Lächeln, das schon ihre Augen erhellt. Welch ein armseliges Leben, so an Sorgen zu kau’n ohne Zeit, einfach zu stehen und zu schau’n.
Als Nächstes widme ich mich einem der schwierigsten Punkte des A-B-S-Konzeptes, dem Beharrlich sein.
Fussnoten: 1., 2. Dr. Russ Harris: »Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei – ein Umdenkbuch«, Goldmann Verlag Seite 66–70 (zu 1.), 61–65 (zu 2.)